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FÜLLFEDERHALTER

Trotz der Perfektionierung der Stahlfeder besass das Schreiben mit Tinte immer noch den jahrtausendealten Nachteil, dass die Feder schon nach wenigen Strichen wieder ins Tintenfass getaucht werden musste.

Schon früh wurde daher das Bedürfnis laut, «eine schon secretfeine Feder zuzurichten, welche Dinten hält». Ein Schreibmeister des 17. Jahrhunderts gibt den Rat, sich zu diesem Zweck aus drei Kielen ein solches Schreibgerät zu schneiden. Aus einem Kiel wird eine Feder zugeschnitten. Mit dem zweiten Kiel wird ein Tintenreservoir geformt. Ein dritter, festerer Kiel dient als Halter. Wenn alle Teile richtig zusammenpassen, fliesst beim Schreiben schon bei leichtem Druck durch ein feines Löchlein im Reservoir Tinte zur Feder.
In dem «Journal d’un voyage à Paris en 1657-1658» von Fougère (Paris 1862) wird ein Gerät mit ähnlichen Vorzügen beschrieben:

“Wir sahen einen Menschen, der eine wunderbare Erfindung gemacht hatte, um bequem zu schreiben. Wenn seine Erfindung bekannt sein wird, wird sie ihn in kurzer Zeit reich machen, denn es wird niemand geben, der dies nicht haben möchte. Wir haben ihm natürlich auch einige Stück bestellt. Er verkauft sie zu 10 Franks und zu 12 Franks an solche, von denen er weiss, dass sie eine solche stark begehren. Er macht Federn aus Silber, die er mit Tinte füllt, die nicht trocknet, und ohne Tinte zu nehmen, kann man in einem Stück eine halbe Hand breit Papier beschreiben.”

Die Grundidee bei diesem neuen Schreibgerät, dem Füllfederhalter, ist, Tinte aus dem Schaft direkt an die Feder abzugeben. Das beim Schreiben bis anhin störende Unterbrechen und neu Eintauchen der Feder fällt damit weg.

Der Füllfederhalter, der aus verschiedenen Materialien, wie zum Beispiel Metall oder Holz, hergestellt sein kann, setzt sich aus wenigen Teilen zusammen, nämlich der Feder, dem Ansatz oder Griffstück mit integriertem Tintenleitsystem, dem Tintenbehälter und einer Kappe zum Schutz der Feder. Diese Teile sind mit Gewinden oder Gelenken untereinander verbunden.

Eine der ersten Erfindungen auf diesem Gebiet wurde von Frederick Bartholomen Foelsch 1809 in England gemacht. Weiterentwicklungen und Verbesserungen kamen von John Sheffer 1819, Hoyau 1821 und Paradier 1822.

Der entscheidende Schritt gelang 1883 Lewis Edison Waterman in New York. Er war es, der die Wirkung der Kapillarität erkannte. Er konstruierte einen Füllhalter mit einer Goldfeder, dessen Tintenleitsystem fein genug war, um die Tinte reguliert der Feder zuzuführen. Auf dieser revolutionären Erfindung, dem “Waterman Regular”, der am 12. Februar 1884 patentiert wurde, beruhen noch heute alle Füllfederhalter. Die Bemühungen um weitere Verbesserungen in der folgenden Zeit betrafen, neben der äusseren Gestaltung von Form und Design, vor allem die Spitze, die Feder.

fuellfederhaltertechnik

Abb.42: der am 12. Feb. 1884 patentierte “Waterman Regular”:

A: Schaft mit Tintenreservoir
B: Vorderteil
C: Luftzufuhr
E: Kappe zu Schutz der Feder
P: Feder 14 Karat Gold

d: Kapillarkanäle

Z: Ort des Querschnitts in Fig. 2

Edward Johnston schreibt in seinem 1906 erschienenen Buch “Kunst- und Zierschrift”:
“Eine Goldfeder ist vermutlich der beste Ersatz für die Kielfeder, und wenn es möglich wäre, eine Goldfeder mit scharfer, meisselförmiger Iridiumspitze herzustellen, dürfte dies die praktischte Federform sein.”
Offensichtlich besteht auch 80 Jahre nach der Niederschrift dieser Zeilen nur bedingt die Möglichkeit, eine solche Spitze herzustellen. Nicht Gold, nicht Platin kann die Elastizität der von Hand geschnittenen Gänsefeder ersetzen.

Trotz der Weiterentwicklungen und Verbesserungen seit der Erfindung von Water­man war es für die Hersteller von Füllfederhaltern sicher nicht leicht, sich auf dem Nachkriegsmarkt angesichts der zunehmenden Flut von Kugelschreibern, Filzstiften und Rollerballs zu behaupten. Die elastischen Goldfedern waren nicht mehr gefragt, geschweige denn Kolbenfüller, Patronen oder starre Goldfedern mit Iridiumkugelspitzen. Der Füllfederhalter musste dieselben Leistungen wie der Kugelschreiber erbringen, so auch die damals notwendigen Durchschläge mit Kohlepapier ebenso ermöglichen wie sein kleiner Bruder mit der rollenden Kugelspitze. Im Zuge dieser Entwicklung blieben einige Hersteller von Federn auf der Strecke. Übrig blieben die ganz grossen, heute fast vollautomatisierten Unternehmen.

Mit dem Beginn des Kalligraphiebooms in Amerika wurde dann mancher Füllfederhersteller wieder aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Seit Anfang der achtziger Jahre gilt die Füllfeder wieder als «in», und es gehört heute zu einem gepflegten Auftreten, mit einem dieser edlen Stücke die Brusttasche zu zieren.

Doch was steckt hinter dieser Wende? Ist es eine Rückbesinnung auf fast verlorene Werte einer gepflegten Handschrift oder etwa ein gross angelegter Werbefeldzug aus einem plötzlich selbstbewusst gewordenen Wirtschaftszweig?

Erstaunlicherweise begann die Nachfrage nach edleren Schreibgeräten parallel zum Aufkommen der Personal Computer und Textverarbeitungssysteme. Unter dem Ein­druck der zunehmend um sich greifenden Uniformität aller Schriftdokumente ist es nur natürlich, dass der Schrei nach Persönlichkeit plötzlich laut wurde. Eine Rückbesinnung auf die alten, bleibenden Werte setzte ein.

füllfederhalter

Damit die Füllfeder aber nicht zum reinen Modeartikel verkommt, sondern einen tat­sächlichen Gewinn an Schreibkomfort und einen Ausdruck innerer Werte ermöglichen kann, sind bei der Auswahl einige Punkte zu beachten. In erster Linie sollten die technische Leistung und der Preis des Schreibgeräts in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Insbesondere sollte der Füllhalter über eine Feder verfügen, die ihrem Material entsprechend verarbeitet wurde. Sicher sollte er auch von der äusseren Erscheinung unserem Wesen gerecht werden, wobei der Designername aber für die Qualität des Produkts und den Schreibkomfort ohne grosse Bedeutung ist. Es gibt auch unzählige sogenannte Kalligraphiefedern, die zur Ausübung der Kalligraphie völlig ungeeignet sind. Lassen Sie sich deshalb gut beraten und befragen Sie das Fachpersonal über die Vorzüge und Nachteile einer Feder.

Abb.43:
verschiedene Kalligraphie-Füllfederhalter

Wie sieht es mit dem Füllhalter im heuti­gen Fachhandel aus? Unter den heute im Fachhandel erhältlichen Füllfedern sind vielleicht zwei Markenhalter zu finden, die nicht aufgrund ihres Namens, sondern aufgrund ihrer altbewährten Herstellung von Schreibgeräten eine Empfehlung verdienen. Es handelt sich hier um Goldfedern, die aufgrund ihrer Verarbeitung und Fassung ein Optimum an Elastizität zulassen, ohne dabei an Fliesskraft einzubüssen oder gar zu brechen. Eine Auswahl an Federstärken lässt nach geduldigen Schreibproben die Feder mit der entsprechenden Strichdicke finden. Die Erfahrung der Ergonomie eines Füllhalters, des richtigen Verhältnisses von Dicke und Gewicht zur Hand des Schreibenden, lässt das Schreiben erst zum wirklichen Erlebnis werden. Bei den heutigen Kalligraphiefedern finden wir alles, was das Herz begehrt oder eben auch nicht begehrt, von harten, unhandlichen, an über­ mässigem Tintenfluss leidenden Haltern bis zu den in grosser Anzahl angebotenen Federspitzen mit leider etwas schlecht fliessendem Tintenhalter.

Ein Kalligraphiefederhalter sollte einen feinen, hauchdünnen waagrechten Strich zu­ lassen und beim dicken Abstrich nicht ausfransen.

IM HANDEL ERHÄLTLICHE FEDERBREITEN UND IHRE BEZEICHNUNG:

Nicht nur bei der Auswahl des richtigen Schreibwerkzeuges kommt die Persönlichkeit zum Zuge, auch in seiner Anwendung sind kreativen Ideen und persönlichen Vorlieben keine Grenzen gesetzt. Dazu seien nur zwei Beispiele genannt: Patronenfüllhalter sind ein reizvolles Experimentierwerkzeug. Ein Text, der mit blauer Tintenpatrone begonnen wurde, wechselt durch einfaches Einlegen einer roten Patrone langsam die Textfarbe von Blau über Violett ins Rot. Ganze Textbilder oder buntfarbige Briefe bekommen auf diese Weise eine reizvolle Wirkung.
Eine weitere Anwendung mit einer besonderen persönlichen Note ist, Telefaxmittei­lungen mit dem Füllfederhalter zu verfassen. Eine handgeschriebene und anschliessend gefaxte Mitteilung erfreut gewiss jeden Empfänger…

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